Das Jahreskreisfest Samain: Schwelle zur Dunkelheit und Zeit zum Loslassen
Die Rituale und Feiertage unserer westlichen Kulturen basieren häufig auf den Bräuchen unserer Vorfahren, den Kelten und Germanen. Ein Blick zurück auf unsere Wurzeln hilft daher, die Energie hinter diesen Festen besser zu begreifen und sie auf eine eigene Art und Weise zu zelebrieren. Samain lädt uns ein, zum befreiten Loslassen und dazu, den Tod als Teil des Lebens zu sehen.
Bei uns steht der christliche Feiertag Allerheiligen vor der Tür und in den USA werden Fratzen in Kürbisse geschnitzt. Was viele jedoch nicht wissen: Sowohl Halloween am 31.10. als auch Allerheiligen/Allerseelen am 01./02.11. sind ein Erbe der Kelten und Germanen, die das Jahreskreisfest Samain oder Samhain feierten.
Nach Amerika kam dieser Brauch mit den irischen Einwanderern. Zu Samain waren die Schleier zur Anderswelt dünn und man konnte die Ahnen berufen und um Rat fragen. Auch die Kinder verkleideten sich. In Britannien wurden damals schon Kohlrüben ausgehöhlt und mit Kerzen bestückt, um den Geistern in dieser Nacht den Weg zu weisen. All diese Dinge sind heute als Halloween noch wichtiger Bestandteil der amerikanischen Kultur. Auch in das Kirchenjahr der Katholiken hielt das Samain-Fest Einzug, um an Allerheiligen „allen Heiligen“ zu gedenken und an Allerseelen den verstorbenen Seelen.
Samain war ein Mondfest, eingebettet zwischen zwei Sonnenfeste
Doch lebten unsere keltischen und germanischen Vorfahren nicht nach dem gregorianischen Kalender. Für sie waren es die Gestirne des Himmels, die Sonne und der Mond, die ihren Jahreslauf und die entsprechenden Rituale bestimmten. Das Fest im November wurde wahrscheinlich an dem Vollmond ausgerichtet, der eingebettet zwischen der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche und der Wintersonnwende liegt. Das wäre in diesem Jahr am 08. November 2022.
Dieser Tag markierte die Schwelle zur dunklen Zeit des Jahres, über die der schwarze Gott Samain herrschte. Laut dem Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl1 war er der Jäger, der den Sonnenhirsch erlegte und dessen Gattin, die Vegetationsgöttin, in die Unterwelt verschleppte. Dort hütete sie die Seelen der Verstorbenen, Mensch und Tier gleichermaßen, und wachte über die schlafenden Samen in der Erde bevor sie im Frühjahr in neuer Blüte wieder an die Oberfläche kam.
Der Tod als Teil des Lebens
Für unsere Vorfahren war das keinesfalls befremdlich, denn der Tod war ein Teil des großen Ganzen. Er stellte für sie kein Ende dar, sondern lediglich den Beginn eines neuen Kreislaufs. Deswegen konnte sich ein Kelte laut Storl1 auch Geld leihen mit der Vereinbarung, es im nächsten Leben zurückzuzahlen!
Und auch wenn man die Natur betrachtet, ist der Tod und das Loslassen elementar wichtig, damit neues Leben entstehen kann. Damit der Boden fruchtbar bleibt, braucht es Pflanzen und Blätter, die absterben, damit aus ihnen neuer Humus entsteht.
Loslassen in der Natur: farbenfroh und befreiend
Dabei ist der Prozess des Loslassens durchaus freudig und bunt! Für Laubbäume ist es die Gelegenheit, nicht nur das Blattgrün und die Farbstoffe aus den Blättern zu holen und in Stamm und Wurzeln fürs nächste Jahr zu speichern. Sie geben sogar Schad- und Abfallstoffe in die Blätter, um sich so elegant von ihnen zu entledigen. Loslassen befreit und reinigt!
Abschließen möchte ich mit einer Einladung zur Reflexion:
Wenn sich der Kreis schließt, kann man sich mit einem Feuerwerk verabschieden.
Die Blätter sterben und fallen von den Bäumen.
Aber sie gehen nicht still und heimlich, schamvoll in Gewissheit ihres Endes.
Sie zeigen sich in ihrer vollen Farbenpracht und gehen mit einem Paukenschlag!
Und sind voller Hingabe an die nächsten Generationen von Pflanzen.
Denn auf dem Waldboden sind sie die Grundlage für neues Leben.
So frage auch du dich:
Wo kann ich voller Freude loslassen?
Was will ich nicht mit in den Winter nehmen?
Lass dich inspirieren von der Energie der Natur und mach aus jedem Ende ein Fest.
Sabine Glatz
1„Pflanzen der Kelten“ Wolf-Dieter Storl